Silvester – die Vernunft der Unvernunft
Warum ist das so? Was ist eigentlich los mit uns, dass wir alle Jahre wieder ausgerechnet an Silvester was ganz Besonderes machen, feiern wollen? So sehr, dass die Vorstellung, Silvester allein oder ohne Feiern zu verbringen, schon Panik auslöst?
Man könnte ja sagen, dass in Zeiten wie diesen, wo in unserer Nachbarschaft soviel Leid herrscht, sämtliches Feiern unangemessen ist. Hat das einen Sinn, wenn wir trotz allem an diesem Tag, in dieser Nacht unbedingt feiern und uns die Feuerwerkskörper um die Ohren zischen lassen wollen? Um dabei scheinbar sinnlos Geld zu verpulvern? Und Co² in die Luft zu jagen? Ist das Symbol des lauten Silvesterfeierns überholt oder erfüllt es auch heute noch seinen Zweck?
Schon immer war das Ende eines alten und der Beginn eines neuen Jahres etwas, was die Menschen bewegt hat. Schon die alten Germanen haben den Jahreswechsel mit großen Feuern gefeiert. Aber was ist es denn eigentlich, was wir da unbedingt feiern wollen?
Klar, da gibt es diese Geschichte mit den bösen Geistern, den Wintergeistern, die das Leben absterben lassen, die vertrieben werden sollen mit Feuer und Lärm. Aber wir sind doch so schlau und glauben gar nicht mehr an Geister – weder an die guten noch an die bösen. Aber was bleibt ist doch, dass da was „stirbt“ und dass was Neues beginnt. Noch vor 500 Jahren fiel der Jahreswechsel auf den 24. Dezember, den Tag, an dem ja auch eine Geburt gefeiert wurde. Erst im Jahr 1582 trat unser heutiger Kalender in Kraft und der letzte Tag des alten Jahres wurde vom 24. Dezember auf den 31. Dezember, den Todestag von Papst Silvester I verlegt.
Auf jeden Fall gibt es einen Übergang: Das Alte lassen wir hinter uns und vor uns liegt das Neue. Egal, ob wir das Jahr so furchtbar finden mögen wie das letzte, oder ob es ein schönes Jahr mit viel Grund zur Freude war: Es hört auf, ob wir das nun wollen oder nicht. Da können wir uns auf den Kopf stellen. Und selbst wenn wir die Zeit aufhalten könnten: Was wäre dann los? Schlichtweg gar nichts mehr. Wenn alles stehen bleibt, ist alles tot.
Aber dann gibt es da diesen einen Augenblick, diesen Moment, den wir oft mit einem explosiven Knall oder sanfter, auch mit einem Glockenschlag versuchen, hörbar zu machen. Ein Moment, den wir schwer fassen können, weil ein Augenblick kaum Zeit umfasst. Und in diesem gar nicht recht greifbaren Augenblick – Zack – ist das Alte weg und das Neue hat begonnen! Wie krass ist das denn! Und von dem, was vor uns liegt, können wir uns Vorstellungen machen, wir können uns was wünschen, was erhoffen und erwarten, wir können auch Pläne schmieden – aber was war das noch mal, was Gott am meisten zum Lachen bringt – oder brachte, als es ihn noch gab? Genau, wenn Menschen Pläne machen. Es kommt eh anders, als man denkt. Das Leben ist lebendig und lässt sich nicht in eine Form pressen, die wir uns gerade so vorstellen. Da können wir noch so sehr „Planbarkeit“ fordern, das Leben ist grundsätzlich nicht vorhersagbar, unsere Vorhersagen können immer auch daneben liegen.
Aber was ist das auch für ein zauberhafter Moment! Wo sich die Tür zur Zukunft öffnet und wir die ersten Schritte tun hinein in dieses neue Jahr: Wo wir im wahrsten Sinn des Wortes „unheimlich“ frei sind und entscheiden können, welchen Weg wir jetzt einschlagen wollen. Was immer dann daraus werden mag, wo immer uns das hinführen mag, es werden unsagbar viele Einflüsse mitbestimmen, und auch mit unseren eigenen Entscheidungen werden wir unseren Weg immer weiter festlegen, und das Glück wird ein gutes Quäntchen mitreden. Aber in diesem Neuanfang, in diesen ersten Schritten liegt eine riesige Offenheit und Freiheit. Alles ist möglich! Das kann man beängstigend finden. Vielleicht versuchen deshalb immer noch, die guten Geister – bei uns heißen sie dann eben „Glück“ – herbeizurufen und die bösen Geister, das „Pech“ und „Unglück“ zu verjagen.
Umgekehrt kann es ein beglückender Augenblick sein, wenn wir die Freiheit spüren, die aus dem Gefühl rührt, eine neue Richtung bestimmen zu können. Oder in den Worten Hermann Hesses: Und allem Anfang wohnt ein Zauber inne.“ Uns diese Hoffnungsbotschaft erfahrbar zu machen – hierfür brauch es eine Zäsur, die wir uns mittels eines großen Knalls symbolisieren.
Silvester: Ein Grund zum Feiern? Auf jeden Fall!